Mit einigen Tagen Abstand möchte ich in diesem Bericht meine Gedanken und Emotionen über die vergangene Weltmeisterschaft (London 04.08 – 13.08.2017) zusammenfassen. Die letzten Tage waren schwer, denn die WM war mein größtes Ziel und in den letzten 10 Monaten habe ich alles erdenkliche dafür getan um am 11.08.2017 fit im Londoner Olympiastadion zu stehen. Fit war ich mit Sicherheit, doch anstelle eines Medaillenkampfs wurde es für mich „der Lauf gegen mich selbst“. Ich habe die schmerzliche Erfahrung machen müssen, dass es im Sport nicht immer planmäßig läuft und dass man als Athlet von Höhen und Tiefen begleitet wird. So bitter dieser Wettkampf auch gelaufen ist, mit etwas Abstand versuche ich das positive darin zu sehen und möchte euch in diesem zweiteigen Beitrag einen Einblick in meine Gefühlswelt geben. (Teil 2 erscheint in den nächsten Tagen.)

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Es ist gut 10 Tage her als ich in Davos (Schweiz) das Gespräch mit meinem Trainer suchte, denn die innerliche Anspannung hat mich fast wahnsinnig gemacht. Normalerweise kann ich meine Nervosität ganz gut unter Kontrolle halten, doch in diesem Jahr war es anders. Ich weiß nicht wieso ich so aufgeregt war, aber dieser innerliche Druck verging erst nachdem ich meinen WM-Vorlauf am letzten Mittwoch (09.08.2017) überstanden hatte. Ich denke es liegt daran, dass im Hindernislauf einfach viel passieren kann und ich mir nicht hätte vorstellen können, dass das WM-Finale ohne mich stattfinden würde. Es war bereits meine vierte Weltmeisterschaft. In Peking vor zwei Jahren hatte ich überraschend die Bronze Medaille gewonnen und  demnach war es für mich undenkbar die Qualifikation nicht zu überstehen. Im Anschluss des Rennens erfüllte mich demnach eine gewisse Erleichterung. Die schwierigste Aufgabe war für mich somit überstanden und ich war Bereit für alles was kommen möge.

Im Nachhinein weiß ich, dass ich es nicht war. Denn ich hatte im Vorfeld zwar unzählige Visionen wie das Hindernis-Finale ausgehen würde, aber ein Sturz war in meinen Prognosen definitiv nicht vorgekommen. Wahrscheinlich ist das auch gut, denn hätte ich gewusst was auf mich zukommen würde, wäre ich wahrscheinlich am Bewusstsein darüber zerbrochen. Demnach nehme ich eines von dieser Weltmeisterschaft mit, nämlich, dass man niemals weiß was einen erwartet und das man daran wächst kritische Situationen intuitiv zu bewältigen. Wenn ich an den Lauf denke und versuche mich an die Situation zu erinnern, weiß ich nur noch, dass ich wirklich mit aller Macht versucht habe auf beiden Beinen zu bleiben und dass mir das Aufstehen unendlich schwer fiel. Mein Kopf hämmerte, mein Herz weinte.

„Scheiße“ dachte ich mir. „Alles vorbei“

„Das darf nicht wahr sein“

„Warum“

und gleichzeitig sagt mir mein Unterbewusstsein: „Lauf weiter Gesa. Es ist eine Weltmeisterschaft, du darfst nicht aufgeben.“

Als ich den ersten klaren Gedanken fassen konnte, war ich bereits wieder im Laufschritt. Abgeschlagen als letzte trottete ich ca. 20 Meter der Verfolgergruppe hinterher. An eine gute Position war nicht mehr zu denken. An eine vernünftige Zeit sowieso nicht. Alles was ich wollte, war nicht als letzte aus diesem Rennen zu gehen und so startete ich meine neue Mission und kämpfte mich langsam an die vor mir liegende Gruppe heran. Nach einem Kilometer habe ich zurück in das Rennen gefunden. Mein kopf dröhnte nicht mehr all zu doll, ich hatte meine Spannung zurück und konnte meine Emotionen einigermaßen kontrollieren. Im Ziel hingegen spürte ich keine Erschöpfung, sondern nur Leere und eine unendliche Traurigkeit.

Ich hatte schon oft erlebt wie es in meiner Disziplin zu Stürzen kam, doch ich hatte immer gehofft davon verschont zu bleiben. Und nun war es passiert. Ausgerechnet am wichtigsten Wettkampf des Jahres. Mir war bewusst, dass es nicht meine Schuld war, aber gleichzeitig änderte dieser Fakt nichts am Resultat. Ich hatte Versagt. Die Gründe waren mir egal. Der anschließende Medienmarathon war eine Tortur, denn darüber zu sprechen ließ mich merken, dass ich keinen bösen Traum durchlebte. Die Realität war bitter. Meine WM Träume waren zerplatzt. Der psychische Schmerz war groß, die physischen Spuren zwar deutlich aber für mich kaum spürbar. Immer wieder fragt man sich „Warum?“ „Warum ausgerechnet heute?“ „Warum ich?“ „Was hätte ich anders machen können?“

und gleichzeitig wusste ich, dass es mein Schicksal eben so gewollt hat. Es sollte an diesem Tag einfach nicht sein.

Als ich die Katakomben des Olympiastadions verlassen hatte und mich mein Trainer in die Arme schloss konnte ich den Schmerz endlich zulassen und meine Tränen nicht weiter unterdrücken. Mein Coach Wolfgang Heinig hatte mich ein Jahr lang begleitet, optimal vorbereitet und wusste wie viel Arbeit und Herzblut vergossen wurde, um an diesem Tag in Höchstform zu sein. Und neben meinem persönlichen Schmerz tat es mir schrecklich Leid für ihn. Er lebt den Trainerjob ist immer für mich da und hat mindestens genauso viel Anteil an den Erfolgen wie ich. Doch an diesem Freitagabend teilten wir nicht den Erfolg, sondern den Schmerz über die Niederlage. Er hatte mir in der Vergangenheit immer versichert, dass er auch in schlechten Momenten da sein würde. Und das war er.

Und ja, ich spreche Bewusst über eine Niederlage, denn so hat es sich für mich in diesem Moment angefühlt. Ich wollte über mich hinauswachsen. Ich wollte eine Bestzeit. Ich wollte vorne mitmischen und um eine Medaille kämpfen. Stattdessen stürzte ich nach 700m und kämpfte mich irgendwie ins Ziel. Der neunte Platz war kein Trost. Vorerst bedeutete er nur Enttäuschung…

Fortsetzung folgt

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