In meinen Gedanken schreibe ich den 26.08.2015. Ich befinde mich im 3000 m Hindernis Finale bei den Weltmeisterschaften in Peking. Wochenlang habe ich mich auf diesen Tag vorbereitet und mir sämtliche Rennverläufe in meinem Kopf ausgemalt. Jetzt erlebe ich die Realität und sämtliche Gedanken oder Wunschvorstellungen sind dahin. Der Startschuss fällt und das Tempo erscheint meinem Gefühl recht gemächlich zu sein. „Schön denke ich mir, da kannst du erst einmal mitrollen“. Die Tempoverschärfung der Inderin nach wenigen Runden schien keinen der Favoritinnen zu interessieren. Sie zieht dem Feld einige Meter davon. „Sie werden es schon wissen“ sagt mir die Stimme in meinem Kopf. Die Runden streichen dahin, die Zeit verfliegt, die Inderin ist wieder eingeholt und ich bin immer noch in der Spitzengruppe. Die letzten zwei Runden werden eingeläutet, das Tempo ist mittlerweile deutlich schneller. Meine innere Stimme wiederholt folgende Worte in einer Dauerschleife: „Dranbleiben, konzentrieren und achtsam sein, wenn die Post abgeht.“ Mit jedem zurückgelegten Meter werden wir schneller. 300m vor dem Ziel wird mir bewusst das ich in diesem Rennen noch alles gewinnen aber auch alles verlieren kann. Ich bin eingekeilt als fünfte und komme nicht vorbei. Der letzte Wassergraben soll meine Chance sein. Ich suche die Lücke, drücke mich kräftig ab und bin wieder vorne mit dabei. Die letzten 100m kenne ich nur aus dem Youtube-Video. In meinem Kopf habe ich nur noch die Erinnerung an die Worte meines Trainers: „kurze schnelle Schritte, treten treten treten.“ Ich laufe durchs Ziel, gewinne die Bronze Medaille, meine Gefühlswelt ist nicht zu beschreiben. Die Strapazen des Trainings, die vielen Auslandsaufenthalte, die Zeiten der Trennung von meinem Freund und meiner Familie, die Tränen, wenn das Training hart ist und man keine Lust mehr hat sind vergessen und erscheinen einem in diesem Moment so unendlich klein. Die harte Arbeit hat sich gelohnt. Es ist ein Moment des Glücks, der nicht nur meiner Arbeit verschuldet ist. Mein Erfolg ist gleichzeitig der Erfolg einiger Menschen aus meinem Alltag, über die ich in diesem Blogbeitrag schreiben möchte. Menschen, die mich tagtäglich auf meiner Reise begleiten und meines Erachtens maßgeblich für meinen Erfolg verantwortlich sind. Am Ende bin ich zwar diejenige die auf der Bahn steht und rennen muss, aber der Weg zum Ziel ist mit vielen Wochen Arbeit verknüpft, die nicht einzig und allein von mir verrichtet wird.

1675046-35499496-2560-1440 Quelle: www.eurosport.de

Noch im Stadion wirft mir ein Ehepaar eine Deutschland Fahne zu. Ich bedanke mich, mit Tränen des Glücks in den Augen und wickle sie mir um die Schultern. Meine innere Stimme erinnert mich: „schwarz, rot, gold“ und ich achte sorgsam darauf, dass die Flagge richtig herum in die Kamera weht. Peinlichkeiten für die Presse wollte ich mir ersparen. Für ein Lächeln muss ich mich nicht anstrengen. Das Glück steht mir ins Gesicht geschrieben. Meine Beine sind so locker als hätte ich nichts getan und so ist die Ehrenrunde keine große Hürde. Ich sprinte fast durchs Stadion um möglichst schnell zum Wassergraben zu gelangen. Von dort habe ich meinen Trainer während des Rennens erahnen können. Von hören kann nicht die Rede sein, die Tribünen sind voll. Ihn in den Menschenmassen zu sehen und in die Arme zu schließen ist ein absolut grandioses Gefühl. Wir beide haben Freudentränen in den Augen. Als Athlet ist es schwer einem Trainer eine Freude zu machen. Meist weiß ich nicht was ich ihm zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken soll. Was schenkt man jemandem, der schon die ganze Welt gesehen hat? Der Laufsport und die Trainingslehre liegt Wolfgang Heinig im Blut. Ich wüsste niemand anderen der so viel Kompetenz und Freude für diesen Sport aufbringt. Seine Athletin sein zu dürfen und gemeinsam mit ihm zu arbeiten ist für mich jeden Tag aufs neue eine sehr große Freude und so ist dieser Erfolg unser beider Werk, auf welches ich wirklich stolz bin. Ich denke, dass ich mit diesem Lauf nicht nur mir, sondern auch ihm ein großes Geschenk gemacht habe. Ein Geschenk das man eben nicht kaufen kann.

csm_krause_g_heinig_w_wm15_foto_pohle_3d9904e87c Quelle: www.leichtathletik.de

Später an diesem Abend. Es ist mittlerweile nach Mitternacht komme ich zurück in mein Hotel und habe nach endlos vielen Beglückwünschungen etwas Zeit für mich. Ich nehme mein Telefon und wähle die Nummer meiner Eltern. Meine sonst etwas zurückhaltende Mama, quasselt ins Telefon und spricht mit solchem Enthusiasmus, dass ich fast gar nichts sagen muss. Ehrlich gesagt kann ich auch gar nichts sagen, denn ich bin immer noch sprachlos. Genauso wie mein Papa, der normalerweise zu jedem Thema“seinen Senf“ dazu gibt. Er sagte mir an diesem Abend nur: „Gesa ich bin sprachlos, das ist unglaublich.“ Wieder kullern mir ein paar Tränen über die Wange, vor Freude und vor Sehnsucht. Am liebsten würde ich sie beide fest in die Arme schließen, dann wären Worte nicht nötig. Meine Eltern Inge und Jürgen sind für mich schon immer meine wichtigsten Bezugspersonen gewesen. Ich bin als Einzelkind aufgewachsen, wurde sehr weltoffen erzogen und habe mit den Beiden die Welt bereist. Drei Urlaube im Jahr waren normal. Selten waren wir zweimal am gleichen Ort, weil es ja unendlich viel zu entdecken gibt. Schon als Kind habe ich es geliebt im Flugzeug zu sitzen und mit Ihnen von A nach B zu reisen. Mein Papa hatte auf all den Reisen stets den Durchblick und hat die Planung der Reisen vorgenommen. Die Leichtathletik ist seit meinem Achten Lebensjahr zum festen Bestandteil meines Alltags geworden. Meine Eltern waren auf den Wettkämpfen dabei. Sie haben mich unterstützt, mir zugejubelt, mich motiviert. Dabei haben sie sich nie in den Trainingsprozess eingemischt und mir meine Freiräume gelassen. Mit meinem Papa konnte ich schon immer über Taktik und Konkurrenz sprechen. Er liebt den Sport seit Kindheitsjahren und kennt meine Konkurrenz manchmal besser als ich selbst. Auf seine Einschätzung meiner Gegner lege ich oft sehr großen wert. Er hat ein Händchen dafür. Selbst heute werden die Jahresurlaube rund um meine Wettkämpfe geplant. Bei fast allen Vorläufen und Finals sind sie im Stadion dabei und verfolgen das Spektakel auf der Laufbahn. An jenem Tag in Peking haben sie sich jedoch gegen eine Reise nach China entschieden und so musste eben das Telefon herhalten

img_8190 Quelle: Philipp Pohle

Seit etwas mehr als drei Jahren begleitet mich noch eine andere Person auf meiner Reise. Ich habe meinen Freund Marc bei der Grundausbildung der Bundeswehr kennen gelernt. Er war damals Zugführer der sechswöchigen Basis Grundausbildung Spitzensport, welche für die Aufnahme in die Sportfördergruppe absolviert werden muss. Wir kamen am Abschlussabend erstmals in ein persönliches Gespräch, haben uns aber erst Wochen nach der Grundausbildung richtig kennen gelernt. Seither begleitet er mich auf dem sportlichen Weg und wurde von Anfang an ins Kalte Wasser geworfen. Von Beginn an unserer Beziehung wurde er mit meinen dreiwöchigen Trainingslageraufenthalten konfrontiert und musste erleben was es bedeutet mit einer Spitzensportlerin zusammen zu leben. Zudem lebte er Anfangs in Hannover und ich in Frankfurt, was unseren gemeinsamen Alltag ebenfalls erschwerte. Dennoch hat er mich von Anfang an bei meinen Vorhaben und meinem Sport unterstützt und mir niemals Steine in den Weg gelegt. So unschön es auch war, wenn ich mehr im Ausland als zu Hause sein konnte. Mittlerweile leben wir gemeinsam in Frankfurt und Marc ist in meinem sportlichen Alltag meine größte Stütze. Er ist die Person, die alle Höhen aber auch alle Tiefen mit durchlebt und mir immer zur Seite steht. Mich motiviert, mich tröstet, mich und mit mir feiert. Dabei ist er so selbstlos, dass ich manchmal gar nicht weiß wir sehr ich ihm dafür danken kann. Wir haben damals in Peking lange telefoniert. Er hat meinen Lauf gemeinsam mit Kollegen bei der Arbeit geschaut und mir davon berichtet, wie er meinen Erfolg erlebt hat. Für mich war es einfach schön zuhören zu können. Ich war immer noch sprachlos.

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Neben meinem Trainer, meinem Freund und meiner Familie gibt es noch einige andere Menschen in meinem Leben, die mir tagtäglich helfen das hohe Trainingspensum zu überstehen und die es mir erleichtern meinen sportlichen Alltag zu meistern. Als ich im Jahr 2008 ins Sportinternat nach Frankfurt gezogen bin war Katharina Heinig bereits im Abiturjahrgang. Während ich mich erst einmal einleben musste, genoss sie die Privilegien des Abi Jahrgangs und bereitete sich neben den im Frühjahr anstehenden Prüfungen auf eine Karriere nach dem Sport vor. Sie ist bis zum heutigen Tag die einzige Athletin, welche mich all die Jahre als Trainingspartnerin begleitet hat. Im Sport gibt es immer ein großes Kommen und Gehen. Katharina und mich verbindet eine langjährige Freundschaft und viele gemeinsame Erinnerungen. Dazu zählen vor allem viele gemeinsame Auslandsaufenthalte und Trainingsstunden. Im Jahr 2010 sind wir das erste Mal gemeinsam nach Kenia gereist und haben damals ganz schön zu kämpfen gehabt. Mittlerweile zählen wir den Elften Höhenaufenthalt im kenianischen Hochland und sind für gute und schlechte Tage bestens gerüstet. Gemeinsam haben wir nun schon mehrere Monate in Kenia verbracht, uns in der dünnen Luft gemeinsam vorwärts geschleppt und in den Ruhepausen die ein oder anderen Folge „Bibi und Tina“ gehört. Sie ist einer der ehrlichsten und aufrichtigsten Menschen die ich in meinem Leben kennen gelernt habe und ich bin dankbar, sie als Trainingspartnerin zu haben. So unterschiedlich unsere Spezialstrecken auch sein mögen, wir ergänzen uns wirklich gut. Trainingseinheiten die sie favorisiert finde ich grauenvoll und jene die ich mag sind für sie eine etwas größere Herausforderung. Ihre Trainerin ist Katrin Dörre-Heinig und sie macht unser mittlerweile kleines Trainingsteam komplett. Seit letztem September ist unsere Trainingsgruppe auf vier Personen geschrumpft. Langweilig wird uns nie. Katrin und Wolfgang haben so viele Geschichten und Anekdoten in ihrem Repertoire, dass wir immer ein Gesprächsthema haben. Von ihren gemeinsamen Erfolgen können Katharina und ich immer noch viel lernen. Genauso wie von ihrer Einstellung zum Sport. Das ist immer wieder motivierend.

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Um einen Trainingsplan zu realisieren und fit zu bleiben gehört neben der Planung und der Motivation auch die körperliche Fitness dazu. So sind Physiotherapie und ärztliche Behandlung unabdingbar. Ich bin dankbar für das medizinische Team, welches mich im Jahresverlauf begleitet. Dazu gehören unter anderem Norbert Müller und Matthias Kieb. Neben den beiden gibt es viele andere Physiotherapeuten und Ärzte, die mich in der Vergangenheit behandelt und mich auf Wettkampf- und Trainingsreisen begleitet haben. Diese beiden haben mich jedoch oftmals wieder „aufgepeppelt“ wenn meine gesundheitliche Situation auf der Kippe stand. Gerade das medizinische Team arbeitet oft im Hintergrund und wird viel zu oft unerwähnt gelassen, denn ohne die physische Gesundheit wären so manche Erfolge gar nicht möglich. All diese Personen, sind Menschen im Hintergrund, welche mir jeden Tag aufs Neue zur Seite stehen und mir helfen meine Grenzen zu erfahren und für Erfolge zu kämpfen.

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Gemeinsam mit Norbert Müller                                      Gemeinsam mit Dr. Matthias Kieb

 

Ich hoffe mein heutiger Einblick hinter die Kulissen hat euch gefallen. Lasst mich wissen was ihr denkt.

Gesa