Es ist circa 22:00 Uhr als ich am Sonntagabend nach den Deutschen Meisterschaften auf meine Couch in Frankfurt sinke. Gemeinsam mit meinem Freund Marc stoßen wir mit einem Gläschen Sekt auf meinen Erfolg an und genießen dabei Salat und Burger vom Lieferservice. Es ist so ziemlich der erste Moment in dem ich realisiere, was ich an diesem Wochenende alles erreicht hatte. Wie im Flug sind die zwei Tage an mir vorbei gezogen. Mir kommt es fast so vor, als hätte ich es nicht miterlebt, sondern als wäre mein Körper perfekt programmiert gewesen und das gewünschte Programm reibungslos abgespielt worden. Mit dem klirren der Sektgläser und Marc’s Worten „Auf Dich mein Engel“ wird mir bewusst, dass ich mein Ziel vollends erfüllt hatte.

Erst wenige Tage vor Beginn der Meisterschaften klingelte mein Telefon und mein Trainer überraschte mich mit der Frage, ob ich bei den Deutschen Meisterschaften nicht auch über die 5000m an den Start gehen wolle und so entschieden wir nach einem kurzen Gespräch mit beidseitigem Einverständnis eine Nachmeldung für das Wettkampfwochenende zu tätigen. Erst in den darauffolgenden Tagen wurde mir bewusst, dass eine große Aufgabe auf mich warten würde. Die beiden Läufe trennten keine 24 Stunden und so war eine sorgfältige Planung nötig, um beide Läufe optimal gestalten zu können. Auch meine privaten Pläne musste ich kurzerhand etwas abändern. Mit der Entscheidung an beiden Tagen der Meisterschaften aktiv zu sein, musste ich leider einige meiner Verabredungen für Samstagabend und Sonntag absagen. Viele meiner Freunde und Verwandte hatten den Besuch der Deutschen Meisterschaften in Erfurt geplant und ich hatte mich schon sehr gefreut einige von Ihnen mal wieder zu sehen und die Wettkämpfe am Sonntag als Zuschauer genießen zu können. Doch meine Leidenschaft fürs Laufen ist groß und mit dem geplanten Start über 5000m waren die Pläne eine Schulfreundin am Samstag zum Abendessen zu treffen und am Sonntag im Stadion als Zuschauer zu sitzen zerplatzt. Per SMS benachrichtigte ich meine Freundin und schrieb auch einigen anderen Bekannten, dass sie mich Sonntag wohl eher nicht auf der Tribüne treffen würden. Alle hatten Verständnis dafür, drückten mir die Daumen und ich begann daraufhin über die bevorstehenden Rennen, meine Ziele, Taktik und mein Zeitmanagement nachzudenken.

Bereits am Freitagnachmittag fuhr ich mit Marc und meinem Trainer nach Erfurt. Zwar war mein Wettkampf erst am darauffolgenden Abend und die Reisezeit mit zweieinhalb Stunden recht überschaubar, aber ich ziehe es grundsätzlich vor, den Wettkampftag ohne Reisestress und Hektik zu starten. Es war eine weise Entscheidung, denn der Rest des Wochenendes war komplett „durchgetaktet“. Am Samstagnachmittag verließ ich das Hotel für meinen Wettkampf. Um 18:10 Uhr war der Start für das 3000m Hindernis Rennen angesetzt und obwohl wahrscheinlich kaum jemand an meinem Sieg über die Hindernisse gezweifelt hat war ich sehr angespannt. Von außen mag es leichtfüßig aussehen, aber nichts desto trotz muss ich 3000m mit 35 Hindernissen überwinden, konzentriert sein und der Belastung Stand halten. Im Ziel war ich natürlich überglücklich. Nicht nur über den Sieg, auch über die akzeptable Zeit, den Meeting Rekord und darüber den Lauf mit einer sauberen Technik und gesund überstanden zu haben. Im Nachhinein muss ich immer wieder Lächeln, wenn ich an den Wettkampf zurück denke, denn es war ein wirklich tolles Erlebnis. Die Stimmung im Stadion war einfach toll und hat mich unheimlich beflügelt. Eine Ehrenrunde laufen zu dürfen war einfach wunderbar. Das Grinsen auf meinem Gesicht war quasi „festgetackert“, das Laufen der Zusatzrunde ging von alleine und in meinem Herzen verspürte ich viel Dankbarkeit und Freude. An Erschöpfung war nicht zu denken. Ich lief einfach weiter und erfreute mich an diesem tollen Moment. Es macht mich immer wieder sprachlos wenn ich merke, wie viele Menschen meine Läufe verfolgen, mich anfeuern und mir gratulieren. Das ist einfach toll. Es ist die Belohnung für die harten Trainingstage an denen einen keiner sieht.

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©Holger Teusch

Auch der Andrang der Medien im Nachhinein war gigantisch. Ich habe nach meinem Lauf fast 45 Minuten in der Mixed Zone verbracht, mit Journalisten geredet, Interviews gegeben, Selfies, Fotos und Kurzvideos gemacht sowie eine Reihe an Autogrammen gegeben. Manchmal ist es schwer allen gerecht zu werden, denn in der Mixed Zone geht es oftmals drunter und drüber. Ich muss immer wieder schmunzeln, wenn sich die Medienvertreter darum streiten, wer zuerst eine Frage stellen darf. Da ist es wichtig einen kühlen Kopf zu bewahren, die Fragen nacheinander zu beantworten und sich einfach die Zeit zu nehmen die es braucht. Immerhin sind diese Erfolgsmomente etwas Besonderes und somit versuche ich den Trubel um meine Person einfach zu genießen. Kaum sind die letzten Fragen beantwortet erfolgt bereits der Hinweis, dass ich schon längst hätte zur Siegerehrung erscheinen sollen und dass die andern Mädels bereits auf mich warteten. Kurzerhand sprang ich in ein paar frische Klamotten mit Vereinslogo, konnte endlich meine nassen Spikes in Turnschuhe eintauschen und eilte auf die andere Seite des Stadions, wo die Siegerehrung stattfinden sollte. Bis es soweit war vergingen wieder einige Minuten. Nicht schlimm, dachte ich mir, denn so hatte ich die Möglichkeit meinen Eltern aus der Ferne zu winken. Mein eigener Fanclub hatte sich für die Siegerehrung vor dem Siegerpodest platziert um mich aus nächster Nähe zu sehen. Wie gerne hätte ich meine Eltern in die Arme geschlossen, doch die Arbeit war noch nicht vollendet und ich musste auf ein Treffen verzichten. So bleibt mir nicht viel übrig als ein paar Handküsse auf die Tribüne zu senden und die Medaillenzeremonie zu genießen.

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© Holger Teusch

Nach dem Ende der Siegerehrung wurde ich zurück auf die andere Seite des Stadions geführt, wo eine Dopingkontrolleurin bereits auf mich wartete. „Nein, nicht auch noch“ dachte ich mir, aber auch das gehört zum Sportlerleben dazu. An diesem Punkt möchte ich kurz darauf aufmerksam machen, dass eine Dopingkontrolle nach einem Wettkampf sehr lange dauern kann. Man muss bedenken, dass man vier Stunden vor dem Wettkampf nichts mehr isst, nur noch wenig trinkt, vor Aufregung unzählige Male aufs Klo muss und bei Warm-up, Wettkampf und Auslaufen in der Sonne unheimlich ins Schwitzen kommt. Gemeinsam mit der Kontrolleurin ging ich erst einmal zurück zum Aufwärmplatz. Lief mich ausgiebig aus und ging zur Physiotherapie. Immerhin stand für den nächsten Tag ein weiterer Wettkampf an. Das Auslaufen und die Massage gehören zum Pflichtprogramm und nehmen weitere 90 Minuten in Anspruch. Währenddessen trank ich ununterbrochen um hoffentlich bald eine Dopingprobe abgeben zu können. Um 20:45 Uhr betrat ich schließlich die im Stadion gelegenen Räumlichkeiten der Anti Doping Agentur. Dort war ich bei weitem nicht die einzige Athletin. Um 21:15 Uhr, drei Stunden nach meinem Rennen, war es dann endlich geschafft. Gemeinsam mit Marc und meinem Trainer verließ ich das Stadion. Die beiden haben geduldig auf mich gewartet. Zurück im Hotel hatte ich nur einige Minuten um in frische Kleidung zu schlüpfen, um vor Küchenschluss noch etwas zu Essen zu bekommen. Gegen 23 Uhr bekam ich meine ersehnte Portion Pasta. Gegen 00:30 Uhr fiel ich in mein Bett und Tag Eins war erfolgreich überstanden.

Acht Stunden später klingelt mein Wecker. Mühsam stieg ich aus dem Bett, putze die Zähle und schlüpfe in meine Laufklamotten. In gemächlichem Tempo absolvierte ich 4 km durch die Straßen Erfurts und versuche dabei meine Muskulatur zu lockern. Ein Auftakt sowie ein ausgiebiges Dehnprogramm gehören zu meinen Ritualen vor meinen Wettkämpfen. Genauso wie ein ausgiebiges Frühstück. An diesem Sonntag war das Frühstück auch meine einzige Mahlzeit vor meinem 5000m Start, welcher bereits für 15:35 Uhr angesetzt war. In aller Ruhe trank ich einige Tassen Kaffee zu Brötchen, Obst und Waffeln, bevor es in die finale Wettkampfvorbereitung (Wettkampftasche und Koffer packen, Trikot und Equipment herrichten, Schminken, Haare festknoten, etc.) ging. Vom Ablauf war der Tag dem Vortag relativ ähnlich. Das einzige was nicht zu erwarten war, dass ich mit einem zweiten Sieg nach Hause fahren werde. Zwar hatte ich mir das vorgenommen und meine Ziele in einem Interview auch laut formuliert, doch mir war wohl bewusst, dass es ein heißes Duell um den Titel geben würde. Bis zum letzten Meter hat Hanna Klein mir Paroli geboten und überglücklich und erleichtert konnte ich das Rennen mit 14 Hundertstel Vorsprung für mich entscheiden. Nach einem weiteren Medienmarathon, Siegerehrung und dem Auslaufen stieg ich am frühen Abend ins Auto und machte mich auf den Heimweg.

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© Holger Teusch

Für mich war es der erste Moment in dem ich wirklich realisieren konnte was dieses Wochenende alles passiert war und dass alles wie am Schnürchen geklappt hat. Gleichzeitig musste ich aber auch feststellen, dass ich vom Geschehen, den anderen Wettkämpfen, dem Drumherum, den Freunden und Verwandten, welche als Zuschauer im Stadion waren nichts mitbekommen hatte. Ich hatte dieses Wochenende weder meine Eltern treffen können, noch die ein oder andere Schulfreundin gesehen oder gesprochen. Ein kurzer Moment der Wehmut überflog mich, als ich auf dem Heimweg mein Handy in die Hand nahm und die vielen lieben Nachrichten las, welche ich bereits erhalten hatte. „Wie schön es ist, dass alle an mich denken“, dachte ich mir und gleichzeitig überfiel mich ein Gefühl von Trauer, dass ich nicht wirklich etwas zurückgeben konnte. Dies ist ein Aspekt an meinem Beruf, der mir manchmal etwas zu schaffen macht. Es ist ein Fulltimejob, der einen gewissen Grad an Egoismus erfordert, da im Training und am Wettkampftag alles auf die körperliche Leistung abgestimmt sein sollte. Der Akteur zu sein bedeutet eben auch, dass man für die eigene Leistung verantwortlich ist und demnach alles andere Hintenan stellen muss. Im Stadion bin ich nicht mehr diejenige, die das Spektakel als Freizeit erleben kann, sondern es ist der Moment in dem ich meine Leistungsvermögen auf den Punkt bringen muss. So hart es auch ist, seine Lieben vertrösten zu müssen, so dankbar bin ich für die Unterstützung, welche ich von meiner Familie, meinem Freund, meinem Trainer und vielen Freunden erhalte. Es ist eine Unmenge an Verständnis, welches mir gegenüber aufgebracht wird und das weiß ich sehr zu schätzen.

Nach dem Meisterschaftswochenende folgte für mich eine lockere Woche mit maximal einer Trainingseinheit pro Tag und somit viel Zeit für meine Lieben. Das war definitiv ein weiterer Motivationsschub. Diese Woche habe ich bereits hinter mich gebracht und die schönen Momente vollends genossen. Mit der neuen Woche beginnt für mich die finale Vorbereitung in Richtung Weltmeisterschaft in London. Drei Wochen bleiben mir nun um meine Form zu optimieren.

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